Ford: 30 Jahre Escort MK V-VII

Alles schien im Wandel im Herbst 1990. Zur deutschen Wiedervereinigung stürmte der Song „Winds of Change“ die Radio-Charts und Ford präsentierte im vormals geteilten Berlin die fünfte Auflage seines kompakten Erfolgsmodells Escort, das nun endlich auch hierzulande die ewigen Rivalen VW Golf und Opel Kadett auf die nachfolgenden Verkaufsränge schicken sollte.

Alles schien im Wandel im Herbst 1990. Zur deutschen Wiedervereinigung stürmte der Song „Winds of Change“ die Radio-Charts und Ford präsentierte im vormals geteilten Berlin die fünfte Auflage seines kompakten Erfolgsmodells Escort, das nun endlich auch hierzulande die ewigen Rivalen VW Golf und Opel Kadett auf die nachfolgenden Verkaufsränge schicken sollte.

Mit einem finanziellen Entwicklungsaufwand von 2,5 Milliarden Mark war die aus nicht weniger als sechs Karosserievarianten bestehende neue Escort-Familie zur bis dahin kostspieligsten Kölner Kompaktklasse avanciert. Wer jetzt aber an einen vollkommen veränderten Escort dachte, so wie bei dem revolutionären Wechsel vom konservativen Ford Taunus zum stromlinienförmigen Sierra, der erlebte eine Überraschung: „Die Käufer kleinerer Fahrzeuge wollen nicht Revolution, sondern Evolution“, meinte Hardiman, der noch ergänzte: „Technische und formale Experimente sind nicht gefragt“. Tatsächlich präsentierte sich der fünfte Escort deshalb als optisch gefälliger, aber nach Medienmeinung viel zu glatter Biedermann. Allein die brandstiftenden Heißsporne Escort RS Cosworth und XR3i vermochten die Herzen der GTI-Fraktion zu entflammen. Konnte da der von Ford angestrebte Machtwechsel in der Zulassungsstatistik gelingen?

Über acht Millionen Escort mit Frontantrieb und Fließheck waren seit 1980 weltweit verkauft worden und in mehreren Ländern besaß der traditionell sowohl als brave Familienkutsche wie als verwegener Rallye-Reiter auftretende Kompakte sogar Kultstatus. Genügte es, dieses international erfolgreiche Auto nicht neu zu erfinden, sondern allein durch eine Weiterentwicklung fit zu machen für die 1990er Jahre? Das Urteil der Fachmedien fiel negativ aus, teils war es geradezu vernichtend. Vielleicht weil der auslaufende Escort MK IV gerade erst in einem ADAC-Crashtest gescheitert war und Skepsis bestand, ob es der Neue besser machen würde. Tatsächlich hatte Ford den fünften Escort sicherheitstechnisch deutlich optimiert, aber offenbar nicht genug, denn schon 1992 debütierte ein Escort-Facelift mit verbesserter Struktur inklusive Seitenaufprallschutz und 1995 wurde beim nächsten Facelift erneut nachgerüstet. Übrigens entschied Ford Deutschland diese jeweils mit optischen Modifikationen an Front und Heck verbundenen Updates als Generation sechs und sieben zu bezeichnen, eine Zählweise, die u.a. von Ford UK nicht mitgetragen wurde.

Auch das milde, fast mutlose Design wurde bei jedem Facelift geschärft, blieb jedoch im Vergleich zu den Wettbewerbern aus Wolfsburg und Rüsselsheim bis zum Ende der Bauzeit im Jahr 2000 betulich. Was auch daran lag, dass der Escort gleich zwei Mal auf grundlegend erneuerte Golf-Generationen traf (1991 und 1997) und der Kadett-Nachfolger Opel Astra 1991 ohnehin alles anders machte. Die Ford-Kunden kümmerte das Medienrauschen um den Escort kaum, im Gegenteil, in den ersten beiden Jahren mussten die Werke in Saarlouis, Halewood/England und Valencia/Spanien sogar Zusatzschichten fahren, um die Nachfrage zu befriedigen. Der Biedermann kam an, was auch an der Karosserievielfalt aus drei- und fünftürigem Fastback, Cabriolet, Kombi Turnier, Transporter Express und Stufenhecklimousine Orion lag. Überdies gab es ein fast beispiellos breites Motorenprogramm, das vom harmlosen 44 kW/60 PS Benziner über den ersten Kompaktklasse-Diesel mit Katalysator und vollelektrische Escort-Express-Kleinserien bis zum brachial starken Turbo mit Allradantrieb für Rallyepisten reichte. Auch in Südamerika und kurzzeitig sogar in Neuseeland zählte der meist lokal montierte Escort zu den Popstars der Kompaktklasse, denn Unaufgeregtheit vermag in vielen Teilen der Welt besser zu gefallen als Avantgarde.

Auf adrenalinhaltige Emotionen brauchte freilich kein Fan des kleinen Ford zu verzichten, schließlich war bereits der allererste Escort Ende der 1960er Jahre auf Podiumsplätze im Motorsport abonniert. Und deshalb bot der 1991 vorgestellte Escort RS Cosworth mit Turbomotor inklusive zwei Ladeluftkühlern technische Feinkost, die mit Allradantrieb in der Rallye-Weltmeisterschaft Siege in Serie sammeln sollte und auf der Straße mit 162 kW/220 PS wilde Rallye-Ableger wie Lancia Delta Integrale oder Mazda 323 GT-R 4WD, aber auch BMW M3 jagte.

Vor dem hitzigen Temperament des ungestüm vorwärtsdrängenden vierradgetriebenen Cosworth – 0 bis 100 in 6,1 Sekunden – warnte eine von Hutzen durchbrochene Motorhaube und ein gewaltiges Brett von einem Heckflügel, dass als Bücherregal das Wikipedia der 1990er – die Brockhaus-Enzyklopädie – aufgenommen hätte. Zugleich forderte dieses Speedsymbol andere Sportler zu Sprintderbys heraus, die der „Cossie“ meist für sich entschied. Nicht einmal Aston Martin Virage oder Ferrari Mondial passierten die 100-km/h-Marke flotter, gar nicht zu reden von den Talenten des Cosworth als Quertreiber auf kurvenreichen Kursen. Sogar als Safety Car in der Formel 1 bewährte sich der Ford Escort RS Cosworth, dies kurz bevor Michael Schumacher mit einem Ford-Cosworth-Triebwerk seine erste Formel-1-Weltmeisterschaft gewann. Die dann umgehend mit einer von Fans heißbegehrten limitierten „Michael-Schumacher-Edition“ des bei Karmann in Rheine gebauten Escort Cabriolets zelebriert wurde.

Die Kölner Sportschau umfasste neben dem kostspieligen WRC-Homologationstyp Cosworth mit bulligen 162 kW/220 PS auch kleine Kraftpakete wie den 77 kW/105 PS aufbietenden Escort S mit straffem Fahrwerk und natürlich einen XR3i sowie einen RS 2000, dessen maximal 110 kW/150 PS Fahrleistungen auf Golf-GTI-Niveau ermöglichten. Sportliche Lorbeeren, die allerdings teuer erkauft werden mussten, denn die Versicherungsprämien für Cosworth und auch XR3i explodierten besonders in England als größtem Absatzmarkt derart, dass Ford die aggressive Spoilerbewehrung für den Cosworth bald nur noch optional anbot – bis sich der Heißsporn Anfang 1996 nach 7.145 Einheiten ganz verabschiedete.

Auch XR3i und RS 2000 hielten nicht bis zum Debüt des Focus durch, der 1998 im „New Edge“ vorgestellt wurde und die Revolution brachte, die beim Escort ausgeblieben war. Immerhin hatte Ford der finalen Escort-Generation noch einige antriebstechnische Spezialitäten mitgegeben, die den Altstar im Gespräch hielten. Dazu zählte 1995 ein Turbo-Diesel für das Cabriolet, eine damals gewagte Kombination, die sich sonst nur VW und Audi zutrauten. Allrad für alle, damit warb der 66 kW/90 PS starke Escort 1.6 16V 4×4, der die Kraftübertragung aus dem RS 2000 adaptierte. Ende gut, alles gut? Fast, denn eine Mission musste der Escort dem nachfolgenden Focus übertragen: Die Jagd auf die Pole Position in den deutschen Zulassungscharts, auf drei verkaufte Golf kam ein Escort, nur der RS Cosworth fuhr außer Konkurrenz.

Fotos: Ford