Lancia: 50 Jahre Beta

Beta oder „Perpetual Beta“, diese Begriffe beschreiben heute die permanente Weiterentwicklung von Websites, Software, Gesellschaft und Arbeitswelt. Dynamische Prozesse, die dem Automobilpionier Vincenzo Lancia Freude bereitet hätten, war er es doch, der die Bezeichnung Beta ab 1909 als Synonym für dauernde Erneuerung einführte. Damals debütierte der Lancia Beta als erster Technologieträger der drei Jahre zuvor in Turin gegründeten Marke mit dem Logo einer Lanze.

Beta oder „Perpetual Beta“, diese Begriffe beschreiben heute die permanente Weiterentwicklung von Websites, Software, Gesellschaft und Arbeitswelt. Dynamische Prozesse, die dem Automobilpionier Vincenzo Lancia Freude bereitet hätten, war er es doch, der die Bezeichnung Beta ab 1909 als Synonym für dauernde Erneuerung einführte. Damals debütierte der Lancia Beta als erster Technologieträger der drei Jahre zuvor in Turin gegründeten Marke mit dem Logo einer Lanze.

Schon bald standen Lancia Automobile weltweit für innovative Technik und Karosseriedesigns vom Feinsten, ohne Rücksicht auf die Kosten. Exklusive und technisch wegweisende Lancia-Kreationen stahlen bis in die 1960er pompösen Luxus-Konkurrenten die Show, galten als Modelle für stilbewusste Avantgardisten – die Kassen des anspruchsvollen Autobauers füllten sie jedoch nicht. So fiel Lancia 1969 an Fiat, aber schon drei Jahre später gab es Grund zu feiern: Beta hieß eine neue Mittelklasselimousine, mit der Lancia 1972 sein Revival feierte. „Weshalb Beta?“, fragten die Italiener die Premierengäste auf dem Turiner Salon und gaben gleich die Antwort: „Beta ist in der Geschichte des Lancia-Werks der eigentliche Ausgangspunkt“ und Beta stehe für beständigen „Progress der technologischen Mittel“. Wirklich revolutionär war Lancias erstes unter Fiat-Aufsicht realisiertes Modell bei genauem Hinsehen zwar nicht. Dafür konnte die Baureihe Beta über zwölf Jahre mit stetigen Neuerungen überraschen, wie die nachgeschobenen Varianten Coupé, Cabrio, Mittelmotor-GT, HPE und Trevi sowie raffinierte Technologien zeigten.

Für einen Rekord war der nach dem zweiten Buchstaben im griechischen Alphabet benannte Lancia aber schon zu Beginn gut. Während die Fiat-Buchhalter 1970 noch stöhnten über die notwendigen millionenschweren Investitionen in die malade Marke Lancia, befahl Konzern-Chef Giovanni Agnelli die Entwicklung des Beta als Nachfolger für den Lancia Fulvia, damals bereits automobiles Nationaldenkmal in Italien. Ein großes Erbe, das jedoch den frisch von Fiat zu Lancia beorderten Entwicklungschef Sergio Camuffo kaum belastete, schließlich musste er ohnehin unmöglich Geglaubtes wahr machen: In zweieinhalb Jahren ein komplett neues Volumenmodell finalisieren und damit die übliche Fahrzeug-Entwicklungszeit halbieren. So wundert es nicht, dass Camuffo beim Beta auf die Lancia-typischen V4- und Boxermotoren verzichtete und stattdessen modifizierte Fiat-Vierzylinder präferierte. Dennoch bewahrte der Beta Eigenheiten, wie sie Lancia-Tifosi schätzten.

Etwa eine moderne hintere Einzelradaufhängung, die asiatische Autobauer noch in den 1980ern als Vorlage für eigene Entwicklungen nutzten, wie Fachmedien verwundert meldeten. Da war der Lancia Beta bereits am Ende seines Produktionszyklus, der bis 1984 insgesamt 433.000 Fahrzeuge hervorbrachte. Die kühnen Ambitionen der Lancia-Verkaufsstrategen, „100.000 Autos pro Jahr ab 1974“, verfehlte die 4,29 Meter lange Fastbacklimousine zwar klar. Aber der Beta erreichte mit einer verzweigten Modellfamilie Verkaufszahlen, die Lancia in der Mittelklasse bis heute nicht wiederholen konnte. Aktuell ist die seit 2021 zum Stellantis-Konzern zählende Premiummarke übrigens nur in Italien aktiv, aber 2024 soll Lancia mit drei neuen Modellen in mehreren europäischen Ländern ein Revival feiern und spätestens dann dürften siebenstellige Absatzerfolge Pflicht sein.

Vor 50 Jahren versuchte Lancia zunächst Stammkunden von den Vorzügen des Beta zu überzeugen, der deshalb als „Prestige-Wagen für besondere Anlässe“, oder auch als hochkarätiger „Gran Turismo“ beworben wurde. „Design enthüllt das innere Wesen einer Sache“, lautete schon die Devise des Firmengründers Vincenzo Lancia, und so präsentierte sich der Beta als bella Berlina mit Fastback, bewusst ohne Heckklappe, um Kombi- und Handwerkerfahrzeug-Assoziationen zu vermeiden. Die wirklich aufregenden Alternativen zu den Businesslinern bzw. Dynamikern von Alfa Romeo (Alfetta, Coupé, Spider), BMW (5er), Audi (100, Coupé S) oder Porsche (914, 924) folgten noch. Diese permanente Beta-Evolution begann 1973 mit einem aufsehenerregenden Coupé, das Hausdesigner Pietro Castagnero in eleganten Linien konturierte. Kräftige, bis 88 kW/120 PS starke Vierzylinder hatten mit dem 3,99 Meter kurzen und nur 990 Kilogramm wiegenden Zweitürer leichtes Spiel: Den Sprint auf Tempo 100 absolvierte das Lancia Coupé in 9,5 Sekunden, keine Chance für Alfetta GTV oder Alpine A110 1600 SX. Drei Jahre später ersetzte der elegante Zweitürer deshalb nicht nur das legendäre Fulvia Coupé, sondern auch das bereits ausgelaufene Fiat 124 Coupé.

Beachtliche 113.000 Beta Coupé konnte Lancia absetzen. Darunter knapp 1.300 Coupé Volumex mit volumetrischem Kompressor, der die Leistung 1983 auf 99 kW/135 PS trieb, mehr als ein Porsche 924 bot. Zudem lieferte der Kompressor über den gesamten Drehzahlbereich Schub, im Gegensatz zu konventionellen Turboladern. Turbotechnik hatte Lancia trotzdem im Angebot: Der Mittelmotor-Racer Montecarlo Turbo sicherte den Italienern 1980 und 1981 die Sportwagen-Marken-Weltmeisterschaft. Spektakuläre Highlights einer adrenalinhaltigen Laufbahn, die dieser Pininfarina-Entwurf 1975 als Beta Montecarlo und mit „nur“ 88 kW/120 PS leistendem 2,0-Liter-Doppelnockenwellenmotor begann. Optional gab es den Beta Montecarlo mit Targa-Dachöffnung, vor allem aber versuchte er unter der Bezeichnung Scorpion die Marke Lancia in den USA zu altem Glanz zu führen. Vergeblich, nur die Europäer waren bereit, für den Mittelmotor-Zweisitzer 50 Prozent Aufpreis gegenüber einem Beta Coupé zu bezahlen. In finaler Evolutionsstufe bot der Beta Montecarlo übrigens die Basis für jenen berühmten Lancia Rally 037, mit dem Walter Röhrl 1983 auf Rang zwei der Rallye-WM fuhr. Lancia sicherte der Rally 037 sogar den Konstrukteurs-Titel.

Pininfarina brachte nicht nur den Montecarlo in Form, auch der 1974 präsentierte Beta Spider mit Überrollbügel verdankte sein Design dem Ferrari-Hauscouturier. Gebaut wurde der Lancia Spider allerdings bei der Carrozzeria Zagato, die deutlich weniger offene Beta auslieferte als geplant. Ursprünglich sollte der luftige Lancia den Fiat 124 Spider ersetzen, aber dafür fehlte es ihm an bügelfreier Eleganz, wie die Kunden entschieden. Nachhaltiger in die Zukunft wies ab 1975 der Beta HPE (High Performance Estate) als erster erschwinglicher Shootingbrake mit großer gläserner Heckklappe. Was der exorbitant teure „Schneewittchensarg“ Volvo 1800 ES wenige Jahre zuvor nicht geschafft hatte, lieferte nun der Lancia HPE: Faszination, die kaum mehr kostete als eine vergleichbare Limousine und deshalb rund 72.000 Fans überzeugte. Hier Extravaganz, dort Exzentrik: Seine finale Ausbaustufe erlebte der Beta im Jahr 1980, als Pininfarina aus der Fastbacklimousine das eigenwillige Stufenheck Trevi (Tre Volumi – drei Volumen) schneiderte. Ein Viertürer, der nur in Italien reüssierte, aber mit klassischem Kofferraum bereits seinen Nachfolger ankündigte, den Lancia Thema.