Citroën: 50 Jahre GS/GSA
Den Konventionen der Mittelklasse in futuristischen Formen hydropneumatisch zu entschweben, das ermöglichte 1970 erstmals der Citroën GS. Es war ein Mut zur Extravaganz, der belohnt wurde, denn das Modell fand mehr Fans als fast alle anderen Citroën. Trotzdem ist diese kleine Schwester der legendären DS heute vergessen.
Den Konventionen der Mittelklasse in futuristischen Formen hydropneumatisch zu entschweben, das ermöglichte 1970 erstmals der Citroën GS. Es war ein Mut zur Extravaganz, der belohnt wurde, denn das Modell fand mehr Fans als fast alle anderen Citroën. Trotzdem ist diese kleine Schwester der legendären DS heute vergessen.
Die Zeiten wurden schnelllebig und Frankreich platzierte sich ganz vorn beim Rennen in die 1970er. Am Himmel mit der Concorde und Gründung des Airbus-Konsortiums, in der Architektur mit der futuristischen Ferienmetropole La Grande Motte, in der Politik mit den Visionen des neu inaugurierten Präsidenten Georges Pompidou – und auf der Straße mit dem schwebend-leicht dahingleitenden Mittelklassemodell Citroën GS.
Was der legendären Markenikone DS, oder Déesse (Göttin) wie sie die Franzosen liebevoll nennen, in der großen Klasse gelungen war, versuchte das Volumenmodell GS – ein Akronym für „Grand Série“ – vor 50 Jahren im Revier der bürgerlichen Bestseller zu wiederholen. Während andere neue Mittelklässler wie Ford Taunus oder Opel Ascona weiter auf preiswerte Kost mit konservativer Technik vertrauten, bot der Citroën GS Haute Cuisine, die vom Publikum begeistert goutiert und der Fachpresse mit der Auszeichnung „Auto des Jahres“ prämiert wurde. Als weltweit erste Mittelklasselimousine – ab 1971 auch als Kombi – mit hydropneumatischer Federung, Frontantrieb, vier Scheibenbremsen und futuristischem Design erwies sich der GS als Überflieger: Inklusive der Faceliftversion GSA wurden von diesem Citroën rund 2,5 Millionen Einheiten verkauft. Darin enthalten sind auch wagemutige Wankel-Limousinen vom Typ GS-Birotor, die einer Motoren-Kooperation zwischen Citroën und dem deutschen Wankel-Spezialisten NSU entsprangen. Tatsächlich sollte die „Grand Série“ ursprünglich auch bei NSU laufen und unterhalb des Ro80 positioniert werden. Ein kühner Plan, der Makulatur wurde, als NSU seine Unabhängigkeit verlor und unter das Dach des VW-Konzerns kam.
So viel Avantgarde und dazu sensationelle Verkaufszahlen, die nur vom 2 CV getoppt wurden: Trotzdem fuhr der Citroën GS nie aus dem Schatten seiner großen Schwester, der DS, heraus. Stattdessen teilt die immerhin bis 1987 auf vier Kontinenten gebaute schwebende Mittelklasse das Schicksal fast aller Massenmodelle, die erst verbraucht und dann vergessen werden. Vielleicht ist es für Citroënisten, die bis heute ein GS-Modell am Laufen halten, ein Trost, dass der inzwischen rare Zukunftswagen von gestern bei Klassiker-Events mehr Aufmerksamkeit erregt als die scheinbar omnipräsente Göttin. Vor allem natürlich, wenn es sich um einen der nur 847 gebauten Citroën Birotor handelt, deren Entwicklungsbeginn 1967 im Rahmen des Projekts Comotor mit NSU stand.
Im September 1973 war der GS Birotor mit 79 kW/107 PS starkem Zweischeiben-Kreiskolbenmotor die Überraschungssensation auf der IAA und im folgenden April startete die Produktion der exklusivsten und mit 175 bis 180 km/h schnellsten GS-Version. So viel prestigeträchtiges Tempo realisierten damals nicht einmal die Flaggschifflimousinen von Peugeot und Renault, vor allem kaum ein anderes viertüriges Mittelklassemodell. Zuerst hatte der 1970 mit drehfreudigen Vierzylinder-Boxern lancierte GS die Citroën-Verkaufszahlen nach oben katapultiert, nun sollte der wankelnde GS Birotor mit turbinenartiger Laufkultur diesen Höhenflug in die Stratosphäre führen. Träume, die Luftschlösser blieben, denn die geplante GS-Birotor-Großserie endete in einer winzigen Edition. Vordergründig lag dies an der ersten Ölkrise, die 1974 den Absatz aller verbrauchsintensiven Wankel-Modelle ins Bodenlose stürzen ließ. Nach zeitgenössischen Quellen konsumierte der Birotor 12 bis 20 Liter Benzin und damit ebenso viel wie der wesentlich größere NSU Ro80. Wirklich beendet wurde das Birotor-Abenteuer aber durch Peugeot, hatten doch leere Citroën-Kassen 1974 zum Verkauf des Unternehmens an die Löwenmarke geführt.
Mit den Hubkolben-Typen bot die GS-Palette jedoch die sprichwörtliche Lizenz zum Gelddrucken. Gezeichnet vom legendären Designer Robert Opron, wirkte der nur 4,12 Meter lange und dennoch ungewöhnlich geräumige Citroën GS wie ein Manifest moderner Automobilkunst, das niemanden unberührt ließ. Vor allem schloss dieser stromlinienförmige Gallier die gewaltige Lücke zwischen den Zweizylinder-Kleinwagen 2 CV, Dyane, Ami und dem großen Citroën DS. Vom DS adaptierte der GS die Idee der Hydropneumatik, von den Kleinen das Konzept des hochdrehenden, kompakt bauenden Boxermotors – allerdings als Vierzylinder. Trotz anfänglich nur 40 kW/54 PS Leistung ermöglichte der Boxer formidable Fahrleistungen, für die manch anderer Viertürer bis zu 50 Prozent mehr Pferdestärken einsetzen musste, wie etwa der zeitgleich eingeführte VW K70 zeigte.
Billig war der Citroën GS nicht, zumal er im Interieur mit vielen Details wie dem sogenannten Lupentacho in einem beleuchteten Fenster extravagante Akzente setzte. Fast 8.000 Mark kostete der ob seines leisen Laufs als „Flüsternde Revolution“ beworbene GS und damit mehr als die meisten französischen und deutschen Rivalen. Die Kunden störte das ebenso wenig wie die trotz Fastbacks nicht vorhandene Heckklappe: Der GS avancierte – auch wegen des praktischen Kombis – zum Shootingstar seiner Klasse. Sogar im wirtschaftlichen Tal 1973/74 erzielte dieser Citroën derart großen Zuspruch, dass er in Deutschland zu den wenigen Gewinnern der Ölkrise zählte und schließlich 1975 mit rund 22.000 Neuzulassungen ins Spitzenfeld der Importcharts schoss.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die exklusiv ausstaffierte Version GS Pallas mit stärkerem Vierzylinder die Nachfolge des ausgelaufenen Birotor übernommen und die Einstiegsvariante GS Spécial traf den Geschmack kostenbewusster Kunden, während die Typen GS X1 bis X3 sportive Akzente durch mattschwarze Zierelemente setzten, passend zur kurzzeitigen Rallyekarriere des GS. Trotzdem gerieten die auch in Jugoslawien, Indonesien und Südafrika gebauten Limousinen nun zunehmend unter Konkurrenzdruck: Plötzlich fehlte sie doch, die modische Heckklappe wie sie inzwischen fast alle Schräghecks schmückte.
Frisches Lebenselixier für die technisch immer noch visionäre Modellreihe war also notwendig und dieses spendierte Citroën in Form der großen Klappe und mit Stoßfängern aus robustem Kunststoff sowie einem Cockpit mit praktischen Bedienungssatelliten. Für dynamisches Temperament stand der GSA X1 mit kurz übersetztem fünftem Gang und markantem Heckspoiler, angetrieben von einem 1,3-Liter-Vierzylinder mit 48 kW/65 PS. Die Luxusspezifikation Pallas war ebenfalls wieder verfügbar und als einzige Ausstattung für den Export in die DDR vorgesehen. Insgesamt 5.500 GSA lieferte Citroën im Rahmen von Kompensationsgeschäften über die innerdeutsche Grenze, wo sie zu staatlich verordneten Fantasiepreisen von 38.850 Mark der DDR finanzkräftige Fans fanden.
Im Jahr 1982 schien die Erfolgsgeschichte des GSA aber doch ein Ende zu finden, denn der neue Citroën BX demonstrierte, wie sich Stardesigner Marcello Gandini moderne Mittelklasse vorstellte. Für den GSA Anlass, ein letztes Mal seine Talente als zeitloses Gesamtkunstwerk auszuspielen. Beflügelt von Verschrottungsprämien für Altfahrzeuge blieben die GSA-Verkäufe so lukrativ, dass Citroën die Restlaufzeit des Oldies um fünf Jahre verlängerte.
Fotos: autodrom, Citroën/Georges Guyot, Desmoulins Lamanda, Brice Lemal