Meine Geschichte – Jutta Ehrmann-Wolf: Pionierin auf vielen Spielfeldern

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jede*r von ihnen investiert viel Zeit und Herzblut in die große Leidenschaft. Auch Jutta Ehrmann-Wolf war früher als Unparteiische aktiv, als erste Frau pfiff sie gemeinsam mit ihrer Partnerin Susanne Künzig in der Männer-Bundesliga. Seit Juli 2021 ist sie als hauptamtliche Leiterin für die Geschicke des deutschen Schiedsrichterwesens verantwortlich. Anlässlich des „Tag des Schiedsrichters“ bei handball-world.news erzählt Ehrmann-Wolf ihre Geschichte.

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jede*r von ihnen investiert viel Zeit und Herzblut in die große Leidenschaft. Auch Jutta Ehrmann-Wolf war früher als Unparteiische aktiv, als erste Frau pfiff sie gemeinsam mit ihrer Partnerin Susanne Künzig in der Männer-Bundesliga. Seit Juli 2021 ist sie als hauptamtliche Leiterin für die Geschicke des deutschen Schiedsrichterwesens verantwortlich. Anlässlich des „Tag des Schiedsrichters“ bei handball-world.news erzählt Ehrmann-Wolf ihre Geschichte.

Am Anfang traute selbst ihr eigener Vater ihr den letzten Schritt in der Schiedsrichter-Karriere nicht zu. „Er hat zu mir gesagt: Du wirst es nicht schaffen, Männer-Bundesliga zu pfeifen“, schmunzelt Jutta Ehrmann-Wolf. „Das konnte ich so nicht stehen lassen, also haben wir gewettet.“ An den genauen Einsatz kann sie sich heute nicht mehr erinnern: „Ich glaube, es waren 50 Mark oder so“, sagt sie. „Aber um das Geld ging es mir nicht. Ich wollte einfach nur die Wette gewinnen.“

Das gelang mit Bravour: Jutta Ehrmann-Wolf und Susanne Künzig gaben 1996 als erste Schiedsrichterinnen ihr Debüt in der 1. Männer-Bundesliga. Es war weder die erste noch die letzte Premiere in ihrer Karriere – national wie international setzten sie Meilensteine. „Irgendwann hatten wir eine gewisse Routine darin, die ersten zu sein“, flachst Ehrmann-Wolf heute. Nach 25 gemeinsamen Jahren standen am Ende 13 Jahre in der deutschen Beletage und mehrere internationale Großturniere und Finalleitungen zu Buche.

Die Erfolgsgeschichte des Schiedsrichterinnen-Teams Ehrmann/Künzig war zu Beginn jedoch nicht abzusehen. Eigentlich hatte Ehrmann-Wolf den Schiedsrichterschein 1983 nur abgelegt, weil dieser Bestandteil der C-Lizenz-Ausbildung als Trainerin war. „Mein Verein hatte damals aber natürlich einen Schiedsrichtermangel und so habe ich mit 19 Jahren meine ersten Spiele gepfiffen“, erinnert sie sich. Der Einstieg verlief undramatisch, die Erinnerungen an das erste Jahr sind daher verblasst – nur, dass sie oft mit dem Fahrrad zu den Hallen fuhr, das weiß sie noch. Außerdem pfiff sie oft samstags drei Spiele hintereinander weg, denn sonntags spielte sie selbst – oder coachte ihre Mannschaft.

Im Sommer 1984 nahm Ehrmann-Wolf an einer Schiedsrichter-Veranstaltung im Kreis Karlsruhe teil – ebenso wie Susanne Künzig. „Die Verantwortlichen des Kreises sind auf die Idee gekommen, dass wir ein Team bilden können, weil wir fast gleich alt sind“, sagt Ehrmann-Wolf. „Ich war nicht begeistert, Susanne wollte eigentlich auch nicht mit mir pfeifen. Wir waren aber beide so pflichtbewusst, dass wir uns überzeugen ließen, es zu versuchen – und seitdem sind wir gemeinsam durch die Hallen gezogen.“

Es lief so gut, dass sich das Gespann Ehrmann/Künzig schnell durch die Ligen nach oben arbeitete und fünf Jahre später in die 3. Liga aufstieg. Die Vorbereitung auf die Lehrgänge übernahm der zuständige badische Schiedsrichterwart Waldemar Konzok, „ein knallharter Hund“, wie ihn Ehrmann-Wolf beschreibt. Der Oberfeldwebel ließ seine Schiedsrichter:innen auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr schwitzen. Die Mühe zahlte sich aus: Nach nur einem Jahr stiegen die beiden Schiedsrichterinnen in die 2. Bundesliga der Frauen auf.

Zu dieser Zeit liefen die Frauenteams abseits der normalen Struktur in der Förderung. „Wir wurden in der Kaderliste immer separat aufgeführt, mit einem Sternchen versehen“, erinnert sich Ehrmann-Wolf. „Frauen als Schiedsrichter waren damals kein normales Bild, noch viel seltener als heute. Das brachte für uns immer wieder Kämpfe um Anerkennung und Akzeptanz innerhalb des Kaders mit sich“.

1990 erhielten Ehrmann/Künzig ihre erste Ansetzung in der 2. Frauen-Bundesliga in Würzburg – ausgerechnet am 70. Geburtstag von Ehrmann-Wolfs Großmutter. „In Baden, wo ich herkomme, wird viel Wert auf Familienfeiern gelegt und ich hatte keinen Freitermin eingereicht“, erzählt Ehrmann-Wolf. „Das war für mich ein echtes Dilemma, doch dann hat die Familie entscheiden: Du gehst zum Handball, denn wenn man etwas macht, dann macht man es richtig. Und meine Oma wurde Gott sei Dank 97 Jahre alt, sodass ich noch die ein oder andere Geburtstagsfeier miterlebt habe.“

Nachdem sie auch in der 1. Frauen-Bundesliga angekommen waren, folgte nach und nach auch der Aufstieg im Männerbereich. „Wir haben damals natürlich Druck gemacht, warum wir keine Männer pfeifen, denn im Landesverband hat es gut geklappt“, sagt Ehrmann-Wolf. 1993 folgte die erste Ansetzung in der 2. Bundesliga der Männer und kurz darauf winkte sogar der Aufstieg. „Vor der Saison hieß es: Das zweitbeste Gespann steigt ebenfalls mit auf, wenn es jung genug ist“, erinnert sich die Schiedsrichterin. „Das waren wir, doch wir sind trotzdem nicht aufgestiegen. Da bin ich die Wände hochgegangen, denn die Regelung war ganz klar festgelegt.“

Sie habe damals den Eindruck gehabt: Nur, weil da plötzlich zwei ‚Mädchen’ standen, habe man die Regelung gekippt. „Wir wollten aufhören, aber es gab mehrere Wegbegleiter, die uns gut zugeredet haben“, erinnert sich Ehrmann-Wolf. „Und zudem gab es ja genügend andere Menschen, die es gerne gehabt hätten, wenn wir uns verabschieden – und das war letztendlich der Ansporn, um weiterzumachen. Wir wollten allen zeigen, dass wir es schaffen.“

Das gelang: 1996 debütierten Ehrmann/Künzig in Gummersbach in der 1. Männer-Bundesliga. „Das ging gefühlt in die Hose“ fasst sie rückblickend zusammen. „Der Druck war natürlich groß und wir waren mental nicht genug vorbereitet.“ Denn mit dem Betreten der Halle standen die beiden Schiedsrichterinnen im Fokus, Kamerateams filmten ohne Vorwarnung. In den folgenden Spielen behaupteten sie sich jedoch immer besser und machten sich Stück für Stück einen Namen.

Mit dem Auftrieb aus der Männer-Bundesliga nahm auch die Karriere auf internationalen Parkett Fahrt auf. 1997 folge der erste Lehrgang auf europäischer Ebene, 1998 die erste Maßnahme beim Weltverband IHF – und 1999 wurden Ehrmann/Künzig erst für eine Juniorinnen-WM im Sommer und anschließend die Frauen-WM im Winter nominiert. „Wir waren international blutige Anfängerinnen und haben gleich eine solche Nominierung bekommen – das war das Größte für uns“, erinnert sich Ehrmann-Wolf. Besonders die zwei Wochen bei der Frauen-WM in Norwegen werde sie, das betont sie ausdrücklich, nie vergessen.

Es folgten weitere internationale Nominierungen, darunter das Finale der weiblichen U19-Europameisterschaft im Jahr 2000 sowie das kleine Finale bei der Frauen WM 2001 in Italien. Nach der Frauen-Europameisterschaft 2004 entschieden sich Ehrmann/Künzig jedoch, keine weiteren Großturniere mehr anzutreten. „Es war für mich beruflich nicht mehr möglich“, bedauert Ehrmann-Wolf. „Wir haben uns daher auf die Bundesliga konzentriert und international nur noch Europapokal gepfiffen.“ 2002 und 2004 hatte das Duo schon die Finalspiele im EHF-Cup der Frauen leiten dürfen.

National waren zu dieser Zeit die anfänglichen Akzeptanzprobleme längst ausgeräumt. „Wir haben 15 Jahre lang in der 1. und 2. Männer-Bundesliga gepfiffen – und nicht nur hin und wieder, sondern wir haben die gleiche Spielanzahl wie die Männer gehabt“, fasst Ehrmann-Wolf stolz zusammen. „Natürlich haben wir immer mal wieder einen blöden Spruch bekommen, aber insgesamt haben wir die Vorbehalte nach und nach abgebaut. Und auch ohne den „Schutz“ des internationalen Status hatten wir eine Platzierung im oberen Drittel des Rankings.“ 

Selbst von einem heute undenkbaren Kuriosum wurde die Karriere von Ehrmann/Künzig nicht aufgehalten: Parallel zum Pfeifen war Ehrmann-Wolf weiterhin als Co-Trainerin aktiv – und stieg Anfang der Neunziger Jahre an der Seite von Cheftrainerin Karin Euler mit der TSG Ketsch überraschend in die 1. Bundesliga auf. „Das gab natürlich Diskussionen, weil ich auf einmal Co-Trainerin in der Liga war, in der ich auch gepfiffen habe“, erinnert sich Ehrmann-Wolf. „Wir haben die Lösung gefunden, dass wir mehr Männer pfeifen oder eher die Spitzenspiele, da Ketsch ja gegen den Abstieg gekämpft hat.“ Durch die Beziehung mit ihrer heutigen Ehefrau Renate Wolf, damals Trainerin und Geschäftsführerin beim Frauen-Erstligist TSV Bayer Leverkusen, flammte eine ähnliche Diskussion auf, „aber da waren wir ohnehin fast nur noch im Männerbereich unterwegs.“

2009 beendeten Ehrmann/Künzig ihre gemeinsame Schiedsrichterkarriere nach 25 Jahren. Während Künzig sich weitestgehend aus dem Handball zurückzog, blieb Ehrmann-Wolf der Sportart erhalten. Sie wurde Delegierte in der 1. Männer-Bundesliga – und erhielt 2014 ihre erste internationale Nominierung, nachdem sie den Delegiertenkurs in Wien abgelegt hatte. Seitdem war sie bei drei Frauen- und zwei Männer-Europameisterschaften, diversen europäischen Jugend- und Junioren-Turnieren sowie mehrmals beim Finalturnier der Frauen in der EHF Champions League im Einsatz. „Diese Aufgabe hat mir von Anfang an eine große Freude gemacht“, betont sie. „Hier kann ich mein Wissen an junge Leute weitergeben, ihnen den Rücken stärken und mithelfen, dem Druck standzuhalten.“

Parallel zu ihrer Schiedsrichter-Karriere war Ehrmann-Wolf jedoch auch beruflich sehr erfolgreich. Nach einer Ausbildung zur Industriekauffrau entdeckte sie ihre Affinität für die Logistik und war als Niederlassungsleiterin mit Anfang 20 bereits für 150 Mitarbeiter verantwortlich. Die Verantwortung wuchs immer weiter, bevor sie sich vor sechs Jahren erstmals entschied, den Handball zu ihrem Beruf zu machen – und aus dem langjährigen ehrenamtlichen Engagement bei Bayer Leverkusen als Funktionärin ins Hauptamt wechselte und die Leitung der Geschäftsstelle der Handball-Abteilung übernahm. „Ich wollte mir meinen einstigen Traum verwirklichen und den Handball zu meinen Beruf machen“, begründet sie den Schritt. „Und nach 18 Jahren in derselben Firma habe ich auch einen Tapetenwechsel gebraucht.“

2021 folgte der nächsten Tapetenwechsel: Als der Deutsche Handballbund die hauptamtliche Leitung des Schiedsrichterwesens ausschrieb, musste Ehrmann-Wolf nur kurz nachdenken. „Die Schiedsrichterei hat mein Leben extrem geprägt und ich möchte vermitteln, was für ein Bereicherung es sein kann“, sagt sie. „Das deutsche Schiedsrichterwesen war schon auf einem sehr guten Niveau und ich möchte mit einer Expertise dazu beitragen, es weiterzuentwickeln. Mir macht das extrem viel Spaß und ich denke, dass wir weiterhin auf einem sehr, sehr guten Weg sind.“

Steckbrief Jutta Ehrmann-Wolf

Alter: 58
Beruf: Leiterin Schiedsrichterwesen Deutscher Handballbund
Familienstand: verheiratet
Schiedsrichterin von 1983 bis 2009
Gespannpartnerin: Susanne Künzig
Delegierte seit 2009
Karriere-Highlights: Debüt in der 1. Männer-Bundesliga 1996, die erste WM-Nominierung 1999 im Frauenhandball-Land Norwegen, in der ausverkaufen Köln-Arena pfeifen. Und die Möglichkeit, so viele Orte kennenzulernen, die man sonst nie gesehen hätte.  
Ein Traum, der (noch) offen ist: Ich möchte gesund bleiben und meine Aufgaben weiter mit viel Freude erledigen dürfen.

Fotocredit: Marco Wolf, privat