Mit dem Anfang 1962 vorgestellten Volvo Amazon P220 kamen die Skandinavier dieser Vision der Gleichberechtigung von Limousine und Kombi erstmals sehr nahe. Bis zur B-Säule war der auf dem Automobilsalon Stockholm enthüllte Volvo P220 identisch mit der viertürigen Amazon Limousine, die trotz ihres damals bereits beachtlichen Alters von fünf Jahren noch immer weltweit als nordische Schönheit gefeiert wurde. Hinter der B-Säule des Amazon P220 wurden in das Dach dezente Verstärkungen integriert und das Kombiheck zeichnete sich durch großzügige Verglasungen und gleich zwei Heckklappen aus. Unter der Motorhaube dieses weiterhin auch für Firmen, aber vor allem für Familien und Freizeit gedachten Vielseitigkeitskünstlers arbeiteten kräftige Vierzylinder, die aus dem ikonischen Sportcoupé P1800 S adaptiert wurden: Ein Konzept, das den Amazon P220 mit Kultstatus auflud und bis 1969 attraktiv hielt, ehe der Volvo 145 übernahm.
Egalität mit der Limousine demonstrierte Volvo übrigens auch bei der Namensgebung der Amazon-Kombivariante: Offiziell fand sich kein Kombi-Schriftzug am Modell mit der doppelten Heckklappe. Allein in der Werbung war anfangs erläuternd vom schicken „Herrgårdsvagn“ (deutsch: Herrenhof-Wagen) die Rede. Dazu trug bei, dass die untere der beiden Ladeluken abklappbar war und so wie bei extravaganten Shootingbrakes als praktischer Picknicktisch genutzt werden konnte – vor allem aber war dies im Alltag nützlich, um extrem lange Gegenstände zu transportieren, die nicht komplett ins variable Gepäckabteil passten. Im Raumangebot konnte sich der ladelustige Volvo Amazon ohnehin mit den Größten messen, so fasste sein mit Textilien fein ausgekleidetes Gepäckabteil (bei den meisten Kombis dominierten dort Blechflächen) 1.850 Liter an Reisekoffern oder Freizeitausrüstung. Eine Ladung, die dank verstärkter Fondfederung immerhin 490 Kilogramm schwer sein durfte. Für einen lediglich 4,49 Meter langen und nur 1.190 Kilogramm wiegenden viertürigen Kombi respektable Werte.
Wer waren die Wettbewerber dieses Volvo? Zunächst einmal die zahlreichen Station Wagons fast aller US-Marken, die Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard sogar veranlasst hatten, den Amazon P220 in experimentellen Entwürfen mit kleinen Heckflossen und klobigeren Konturen zu zeichnen. Schließlich sollte der Amazon in Nordamerika seine größten Erfolge einfahren, zumal Volvo dort 1963 ein erstes Montagewerk eröffnete. In Europa waren es dagegen die französischen Citroen ID 19 und Peugeot 404 Break, auf die geblickt wurde, dazu der Fiat 1800 Familiare und die anfangs nur zweitürigen Ford Taunus 17 M Turnier und Opel Rekord Caravan. Letztere waren 40 Prozent billiger als der Volvo und deshalb sogar in Schweden populär. Mit 12.950 Mark für die dank Zweifach-Vergaser 59 kW/80 PS starke und rund 155 km/h flotte Spitzenversion Volvo Amazon P222 war der Göteborger Kombi teurer eingepreist als fast alle Konkurrenten und ähnlich kostspielig wie die Sechszylinder-Prestige-Limousine Mercedes-Benz 220 S.
Andererseits hatte die “Amazone unter den Kombis” ihren Konkurrenten auch eine ganze Reihe an Attributen voraus, die den Kaufpreis zumindest teilweise kompensierten: Hohe Zuverlässigkeit bei geringen Unterhaltskosten, sportive Fahrleistungen und – typisch Volvo – neuartige Sicherheitstechniken. Nicht zu vergessen die zeitlos elegante Form, die keine Mode mitmachen musste. Während der Bauzeit des Amazon P220 wechselte etwa der Opel Rekord gleich drei Mal sein Kleid und auch der Ford Taunus 17 M Turnier zeigte sich in vier Design-Generationen. Die robuste Konstruktion des nordischen Kombis spiegelte sich in schwedischen Statistiken, die dem Volvo das Doppelte der üblichen Pkw-Lebenserwartung bescheinigten, aber auch im Lobgesang amerikanischer Consumer-Guides, die den Wikinger mit der Unzerstörbarkeit eines Sherman-Panzers verglichen.
Qualitäten, die durch die neuartigen Sicherheitstechniken des Kombis abgerundet wurden. Von Beginn an serienmäßig waren die Dreipunkt-„Säkerheltsbelte“, jenes lebensrettende Gurtsystem, das die anderen ebenso adaptierten wie die Befestigungspunkte für die Fondsitzgurte. Die sich bei Frontalkollisionen teilende Lenksäule gehörte ebenso zur Phalanx neuer Sicherheitsdetails wie unfallsichere Türen dank spezieller Türschlosssäulen und die Zweikreis-Bremsanlage mit Warnleuchte bei Fehlfunktion. Die Frontsitze mit verstellbarem Neigungswinkel von Sitzfläche und Lehne sowie einstellbarer Kreuzstütze standen in den 1960ern sogar für ein ganz neues Denken, waren doch bei manchen Mittelklassetypen vordere Sitzbänke noch Standardausstattung. Hinzu kam bei Volvo die damals vielleicht beste Rostschutzvorsorge mit Verzinkung im Warmbad und Korrosionsprävention aller Schweißpunkte. Während in Deutschland der durchschnittliche Pkw nach sechs bis sieben Jahren den Rosttod starb, hielt der Volvo Amazon doppelt so lange durch – manche der bis August 1969 insgesamt 73.220 gebauten P220 sogar bis heute. Wobei der Antrieb des Amazon im Alltag gut war für mehrere Millionen Meilen, wie ein Volvo 1800 S mit B18-Motor bewies, der sich einen entsprechenden Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde sicherte.
Auch im Polizeidienst vieler Länder leistete der ab 1967 mit innovativer Abgasreinigung gebaute Amazon Kombi zuverlässige Dienste, noch mehr im Licht der Öffentlichkeit standen jedoch die P220 der Promis und Celebrities. In diesem glamourösen Umfeld konnte der vielseitige Volvo zeigen, dass er vielleicht sogar die extravagante Alternative zur Limousine darstellte. Starregisseur Ingmar Bergman besetzte deshalb seinen privaten Amazon Kombi als automobilen Hauptdarsteller in seinen Kinoerfolgen, die dreifache Oscar-Preisträgerin Ingrid Bergman liebte die Fahrten mit ihrem „kleinen Volvo“ und Björn Ulvaeus von ABBA nutzte seinen Amazon Kombi als Tourbus. Und dann gab es da noch die Power-P220, die das Kombi-Konzept im Motorsport einführten und Lorbeeren ernteten: 1968 dominierte ein P220 das erste in Schweden ausgetragene Dragrace als Publikumsliebling und diente als Vorbote späterer Renneinsätze von Volvo 740 und 850 Kombis. Im Jahr 2008 faszinierte ein furioser Amazon Kombi die Tuning-Fans: Ein Koenigsegg-Ingenieur transformierte den P220 via nachgeschärftem Volvo-V90-Motor zum 600-PS-Hypercar und lieferte so den Beleg, dass auch “alte Amazonen gut für Sensationen” sind.