60 Jahre Renault 8/10: Der Zeitgeist des Wirtschaftswunders
Mit der Kraft von hinten schob sich in den frühen Nachkriegsjahren nicht nur der VW Käfer in den Verkaufscharts nach vorn, auch die französische Régie Renault vertraute damals erfolgreich auf die Kombination von Heckmotor und Hinterradantrieb. Verpackt in verführerische Formen trafen kompakte Viertürer à la Renault 4 CV und Dauphine in den 1950ern den globalen Geschmack von Japan bis Nordamerika, so dass für die Marke mit dem Rhombus feststand: Genau mit diesem Antriebslayout sollte auch der 1962 vorgestellte Renault 8 gegen Opel Kadett, Ford Taunus 12M, Fiat 1100 oder Simca 1000 reüssieren.
Mit der Kraft von hinten schob sich in den frühen Nachkriegsjahren nicht nur der VW Käfer in den Verkaufscharts nach vorn, auch die französische Régie Renault vertraute damals erfolgreich auf die Kombination von Heckmotor und Hinterradantrieb. Verpackt in verführerische Formen trafen kompakte Viertürer à la Renault 4 CV und Dauphine in den 1950ern den globalen Geschmack von Japan bis Nordamerika, so dass für die Marke mit dem Rhombus feststand: Genau mit diesem Antriebslayout sollte auch der 1962 vorgestellte Renault 8 gegen Opel Kadett, Ford Taunus 12M, Fiat 1100 oder Simca 1000 reüssieren.
Kein futuristischer Frontantrieb wie beim frechen R4, sondern ein moderner 1,0-Liter-Vierzylinder mit fünffach gelagerter Kurbelwelle und oben liegender Nockenwelle im Heck. Dazu der relativ geräumige Kofferraum unter der vorderen Haube, so wurde der serienmäßig viertürige und 3,99 Meter kurze R8 dem Zeitgeist des Wirtschaftswunders gerecht. Sogar in den USA sorgte dieses in schicke Trapezform gekleidete „New Generation Economy Car“ zum „Pocketbook“-Preis für Furore, zumal ein Aufkleber „Special USA made in France“ versicherte, dass Renault aus Qualitätsdefiziten früherer Modelle gelernt hatte. Der etwas größere Renault 10 schrieb, gestreckt auf 4,20 Meter Länge, im Jahr 1965 dieses Konzept des R8 noch einmal fort. Aber die Idee, den Motor hinter die Passagiere zu setzen, wirkte nun auch bei Renault angejahrt. Dennoch gelang es einem Motoren-Magier namens Amédée Gordini, dem Hecktriebler R8 ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen – als Vorläufer heißer GTI und furioser RS.
Schon seit 1957 trugen viele der sportlichsten Renault den Namen dieses genialen Tuners, Rennfahrers und Geschäftsmanns: Amédée Gordini machte vor allem die Dauphine fit für Rennsiege, nachdem er sich zuvor mit Monoposti in der Formel 2 als zweitstärkste Kraft hinter Ferrari etabliert hatte. Dann kam 1962 der Renault 8 als designierter Nachfolger der Dauphine, und die Manager in Billancourt begannen sofort, über wilde Motorsportversionen des braven Viertürers nachzudenken, der übrigens als erstes Massenmodell mit Scheibenbremsen rundum ausgestattet war. Tatsächlich beauftragte Renault zunächst die hauseigene Motorsportabteilung mit der Entwicklung einer Wettbewerbsversion des R8, dies aber offenbar nur, um den Ehrgeiz des Amédée Gordini zu befeuern. Die Briten verehrten damals die Kraftzwerge des John Cooper, die Italiener alle Sportgeräte des Carlo Abarth und die Franzosen liebten ihren „Hexenmeister“ („Le Sorcier“), wie die Fachpresse den PS-Zauberer Amédée Gordini geradezu ehrfürchtig nannte.
Gordinis Kraftkur für den Renault 8 umfasste eine Hubraumsteigerung auf 1,1 Liter bzw. 1,3 Liter (ab 1967), einen neuen Querstrom-Zylinderkopf aus Aluminium mit V-förmig positionierten Ventilen und neue Doppelvergaser, so dass am Ende 65 kW/88 PS (bzw. 103 SAE-PS) anlagen – mehr als das Doppelte des bürgerlichen Basis-Aggregats. Den in ziviler Montur gerade einmal 130 km/h flotten Renault 8 brachte Gordini dadurch in finaler Ausbaustufe auf 180 km/h, womit der Familien-Viertürer sogar Sportwagen-Ikonen wie Porsche 356 C und Alfa Giulia „Bertone“ scheuchte.
Derart viel Leistung erzeugte Euphorie und Nationalstolz, deshalb wurde der „Gorde“, wie die Community den muskulösen R8 sofort nannte, meist in der französischen Rennfarbe „Bleu France 418“ mit weißen Doppelstreifen auf Motorhaube, Dach und Kofferraum ausgeliefert – plus großem Gordini-Schriftzug am Heck. Schließlich sollte dieser Sportwagenschreck sofort erkennbar sein. Freie Bahn beamten dem als „Blaues Wunder“ gefeierten Pistenhai auf Autobahnen ab 1966 außerdem runde Zusatzscheinwerfer, die speziell die Piloten rasanter Rallye-Kadett, BMW 1600 TI oder Porsche 912 daran erinnerten, welche Kräfte im friedlichen Gallier schlummerten, die sich durch Gordinis Zauberkur schlagartig in scharfes Tempo verwandeln konnten.
Damit nicht genug der Spezialitäten des Gorde: Einzigartig in der Kompaktklasse waren ab 1966 auch das serienmäßige Fünfgang-Getriebe und die gleich zwei Tanks mit insgesamt 64 Liter Fassungsvermögen. So konnte der blaue Sportstar auch die Equipe Bleu aus Alpine A110 bei Rallyes schlagen. Und überdies 1966 die weltweit erste Markenpokalserie zünden, den Coupe Gordini, der als Talentschmiede für den Formel-1-Nachwuchs fungierte und bald Fahrer wie den Formel-1-Star Jean-Pierre Jabouille oder die Rallye-Legenden Bernard Darniche und Jean-Luc Thérier hervorbrachte. Als die Produktion des Renault 8 Gordini nach 12.203 Einheiten – das Zwölffache der ursprünglich erhofften Stückzahlen – im Sommer 1970 auslief, war dies ein Ereignis nationaler Bedeutung. Am Tag „G“ versammelten sich zehntausende Fans auf dem „Circuit Paul Ricard“ in Le Castellet. Dort stand der allerletzte Renault 8 Gordini – und begrüßte seinen Nachfolger, den 12 Gordini. Ins Programm von Renault Deutschland schaffte es der neue 12 Gordini zwar nicht. Dafür hatte der Renault 8 entscheidend dazu beigetragen, dass sich der größte französische Hersteller hierzulande 1970 als Nummer eins der Importmarken verankerte.
Auch weltweit war Renault dank des erfolgreichen Duos aus R8 und R10 auf Wachstumskurs gegangen: Bis 1972 konnten über zwei Millionen Einheiten der beiden letzten Renault-Heckmotor-Limousinen verkauft werden. Dazu trugen nicht nur die eleganten kantigen, von Philippe Charbonneaux konturierten Formen bei, die beim 1965 nachgeschobenen Renault 10 an Front und Heck um insgesamt 20 Zentimeter verlängert wurden. Mehr noch waren es Faktoren wie Zuverlässigkeit und Fahrdynamik, die den Absatz des Duos beschleunigten, vor allem seitdem 1964 der Renault 8 „Major“ mit dem 1,1-Liter-Triebwerk aus dem Sportcoupé Caravelle aufwartete. Dieser Motor brachte auch den R10 in Fahrt, der damit anfangs sogar dem bahnbrechend neuen, frontangetriebenen und in Pariser Couture gekleideten Peugeot 204 Kontra gab. Noch agiler war der 770 Kilo leichte, signalgelb lackierte Renault 8 S, der mit 39 kW/53 PS flotte 150 km/h erreichte. Zum Vergleich: Die VW 1600 (Typ 3) Limousine brachte es nur auf Tempo 135 bei deutlich höheren Verbrauchswerten.
Mit diesem Mix aus Charisma und Hausmannskost motorisierte Renault auch gleich drei europäische Länder, deren Automobilproduktion erst im Aufbau war: In Spanien etablierten sich R8 und R10 als wichtigste Wettbewerber zu Seat-Modellen, in Bulgarien begann die Montage des R8 als Bulgar-Renault und in Rumänien legte der R8 die Basis zu einer neuer Massenmarke. Mit der Lizenz-Produktion des Dacia 1100 alias Renault 8 bereiteten sich die Rumänen auf ihren ersten Millionseller vor, den 1969 eingeführten Dacia 1300 bzw. Renault 12. Ein moderner Frontantriebs-Typ, mit dem Renault die Transformation seines Modellprogramms Richtung Traction Avant abschloss. Renault 8 und 10 wären heute wahrscheinlich längst vergessen, gäbe es da nicht die Glücksgefühle der Gordini-Jünger, die in ihren blauweißen Wunderwagen mit aufgestellter Heckmotorhaube Bestzeiten entgegeneilten.
Fotos: Renault